Digitalisierung gestalten

Folgende drei Aspekte sind für die Gestaltung von Medien und insbesondere von Digitalisierungsprozessen der in MINT-Feldern entwickelten Webdokumentationen von Bedeutung:

Embodimenttheorien

Basierend auf der These, dass kognitive, affektive und verhaltensbezogene Prozesse verkörpert und in jeweilige Umwelten eingebettet sind, werfen Embodimenttheorien aus der Philosophie, den Kognitions- und Medienwissenschaften (Fingerhut et al. 2013) neue Fragen für medio-ethnografische Arbeiten in Form partizipativer Mediografien auf: Wie wird Wissen von den Beteiligten – im Vorhaben Gendering MINT digital in den verschiedenen Zielgruppenfeldern – erlebt, erlernt und kommuniziert? Wie wird Wissen als eingebettet in verschiedene Umwelten erfahren und wie wirken sich deren Strukturen auf Handlungen und Interaktionen aus? Desweiteren setzt sich dieser Ansatz mit den medialen und ästhetischen Möglichkeiten und Grenzen auseinander, diese Verkörperungsprozesse zur Darstellung zu bringen (Corsten et al. 2010): Welche Rolle können interaktive Bewegtbildmedien übernehmen, um kognitive, emotive und interaktionelle Vorgänge wahrnehmbar und diskutierbar zu machen? Welchen Blickregimen folgen wir und welche Wirkungs- und Handlungsmacht (agency) entfalten die medialen, z.B. visuellen Repräsentanten ihrerseits (Burri 2008; Borer et al. 2011)?

Partizipative Ansätze

die im Rahmen ethnografisch‐dokumentarischer Debatten unter der Bezeichnung Participatory Action Research (PAR) zur Anwendung kommen, ermöglichen die Verschränkungen von Körpern und jeweils spezifischen Umwelten durch kognitive und emotive Prozesse. Die Beschreibung und Beforschung dieser Verschränkung bedeutet, dass Ethnografie eine Form der Interaktion und Beziehungskonstellation ist (Chevalier/Buckles 2013; Milne et al. 2012). Innerhalb dieses Settings lässt sich die Teilhabe der am mediografischen Prozess Beteiligten unter anderem durch Einbezug auch ethnofiktionaler Elemente fördern (Minh-ha 1992; 2009; Klöpping 2004). Das bedeutet, partizipierende Momente als ergebnisbeeinflussend und als problem- und konfliktanfällig zu begreifen. Denn je nach Umwelteinbettung und strukturellen Voraussetzungen wird es spezifische Möglichkeiten aber auch Grenzen der Partizipation geben, die thematisiert werden sollen. Habituelle Fragen, die verbunden sind mit Kategorisierungen wie Status, Bildung, Alter, Geschlecht, Spezies oder Ethnie, spielen hier eine große Rolle (Walgenbach et al. 2012). Jedoch können erst durch die Reflexion dieser Kategorisierungen und ihrer Verschränkungen die jeweils spezifische Verkörperung von Wissenspraktiken und ihrer Ausgestaltung verstanden werden und partizipierende Strukturen greifen.

Filmästhetische und narrative Fragen

Narration und Autor_innenschaft werden durch Theorien der Verkörperung wie auch durch die Verwendung partizipativer Methoden in i-Docs neu hinterfragt. Interaktivität und Partizipation verlangen in Bezug zur Narration Einfluss auf Inhalt und Form. Diese sollen nicht nur erfahrbar gemacht werden, sondern einer aktiven Konstruktion der partizipierenden Personen unterliegen, was eine bewusste Thematisierung der Mit-Konstruktion von Realität bedingt. Im Kommunikationsraum von i-Docs stehen Mensch, Maschine/Technik und Medium in dynamischen Beziehungen zueinander (vgl. auch den Begriff Technografie bei Burri 2008). Während der aktiven Konstruktion der Narration ergibt sich eine stetige Veränderung der einzelnen Bausteine sowie deren Interdependenzen, wie dies beispielsweise in den Montagepraktiken von Harun Farocki (Baumgärtel 2002) deutlich wird. Es stellt sich die Frage, wie sich dieses Gefüge verändert, während es erfahren und konstruiert wird. Wie und in welchem Ausmaß verändern die dynamischen Beziehungen die Nutzer_innen, die Autor_innen, die Narrationen und auch die technischen Elemente, die in dem System miteinander verlinkt sind (Gaudenzi 2013)? Der Begriff der Autor_innenschaft ist in Hinsicht auf Interaktive Dokumentation und Partizipation ebenfalls zentral. Unter Bezugnahme auf den erläuterten Kommunikationsraum ist es Autor_innen nicht möglich, die Konstruktion vollständig zu überblicken oder zu kontrollieren. Deren Struktur wird in Anbetracht individueller Intentionen jeweils unterschiedlich transformiert. Die Verhaltensweisen beziehungsweise die Funktionen der Nutzer_innen sind als explorativ und zugleich konfigurativ zu erachten, was zur Auflösung der Dichotomie von Autor_in und Rezipient_in führt.


Literatur

Borer, Nadja/Sieber, Samuel/Tholen, Georg Christoph (Hg.) (2011) Blickregime und Dispositive audiovisueller Medien. Bielefeld: transcript.
Burri, Regula Valérie (2008) Doing Images. Zur Praxis medizinischer Bilder. Bielefeld: transcript.
Chevalier, Jacques M. & Buckles Daniel J. (2008) SAS2. A Guide to Collaborative Inquiry and Social Engagement, SAGE Press.
Corsten, Michael/Krug, Melanie & Moritz, Christine (Hg.) (2010) Videographie praktizieren. Herangehensweisen, Möglichkeiten und Grenzen. Wiesbaden: VS.
Fingerhut, Jörg/Hufendiek, Rebekka & Wild, Markus (Hrsg.) (2013) Philosophie der Verkörperung. Grundlagentexte zu einer aktuellen Debatte. 1. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
Gaudenzi, Sandra (2013) The Living Documentary: from representing reality to co-creating reality in digital interactive documentary. London: University of London Press.
Klöpping, Susanne (2004) Repräsentationen des kulturell ‚Fremden‘ zwischen Schrift und Film: Ethnographie, Visualität und die frühen Filme Trinh T. Minh-has als ästheti-sche Verfremdung des Wissenschaftsdiskurses. Dissertation Universität Konstanz. Online:http://kops.ub.uni-konstanz.de/handle/urn:nbn:de:bsz:352-opus-18912.
Trinh T. Minh-ha (1992) Speaking nearby. Interview with Nancy Chen. In: dies., London/New York: Cinema Interval. 209-225.
Trinh T. Minh-ha (2001) Trin T. Minh-ha. Wien: Wiener Secession.Walgenbach, Katharina/Dietze, Gabriele/Hornscheidt, Lann & Palm, Kerstin (2012) Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität. Opladen: Barbara Budrich.